Mittwoch, 16. März 2011

Experimentalsysteme als Zukunftsmaschinen

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Im Jahr 1999 trafen sich Wissenschaftler aus verschiedenen Fachrichtungen, um über die Perspektiven einer kulturwissenschaftlich orientierten Wissenschaftsgeschichte zu sprechen. Initiiert wurde dieser Workshop vom Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, namentlich Hans-Jörg Rheinberger, Henning Schmidgen und Sven Dierig. In seinem einführenden Vortrag stellt Henning Schmidgen die Praxis des Experimentierens ins Zentrum einer neu verstandenen Wissenschaftsgeschichte, die sich von den Praktiken ausgehend den historischen Kontext erschließen will.

"Es geht uns um eine an den Versuchsanordnungen, an den 'Experimentalsystemen' (Rheinberger) orientierte  Wissenschaftsgeschichte, die diese Systeme im Kontext ihrer materiellen und semiotischen Kultur situiert und davon ausgehend das kulturelle Feld insgesamt neu aufrollt, es gleichsam neu kartographiert." [PDF, S. 12f.]

Der Fokus in dieser Art der Wissenschaftsgeschichtsschreibung liegt nicht auf einer Person, Institution, Idee oder einem Diskurs, sondern konzentriert sich auf das konkrete Experiment, bzw. Experimentalsystem. System deshalb, weil im Experiment an sich schon immer verschiedene Komponenten zusammenwirken. Schmidgen spricht in Anlehnung an die Soziologie von einem Zusammenwirken von Aktanten, also menschlichen und nicht-menschlichen Handelnden, wie

"technischem Personal, Diplomanden und Doktoranden, ständigen Wissenschaftlern; einer Vielzahl von Meß- und Manipulationsgeräten, speziellen Ausrüstungen, Rechenanlagen; einem System zur Bereitstellung von Verbrauchsmaterial und nicht zuletzt einer entsprechenden Laborarchitektur." [PDF, S.16f.]

In Anlehnung an den Physiologen François Jacobs definiert Schmidgen das Experimentalsystem als "Zukunftsmaschine", da es nicht nur einen technischen Ablauf stabil reproduziert, sondern zusätzlich etwas Neues hervorbringt beziehungsweise so konstruiert ist, dass es durchlässig genug ist für das Unvorhergesehene. Stabilität und Permeabilität sind also zwei wesentliche Merkmale eines Experimentalsystems.

Entsprechend diesem Ansatz betrachte ich den Myographen auch als ein System, in dem verschiedene Komponenten bzw. Aktanten, anorganisches und organisches Material  zusammenwirken. All diese "Teilnehmer" generieren im Ensemble neue Zeichen, wissenschaftliche Erkenntnisse, die im Falle des Myographen sprichwörtlich in Form der Muskelzuckungskurven "aufgeschrieben" werden. Aber der Schreibende ist eben nicht mehr ein einzelnes Subjekt,

"sondern jenes Gefüge von Mensch, Tier und Maschine, bei dem die semiotische Tätigkeit in variabler Weise von einem oder mehreren der humanen bzw. nonhumanen Aktanten ausgeübt werden kann. So wird von ihnen mit an einer Graphosphäre gearbeitet, die sich an die Mechanosphäre der Versuchsaufbauten anlagert." [PDF, S. 20]

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