Mittwoch, 27. April 2011

Zwischenbericht über Status quo und einfach mal wieder dem verwaisten Blog einen Besuch abstatten

Muskelprotz Eugen Sandow (1867-1925), fotografiert 1894 von  Benjamin J. Falk. Mit seinen Experimenten konnte Helmholtz zeigen, dass bei der Muskelbewegung mechanische, thermische, chemische und elektrische Prozesse gleichsam eine Rolle spielen. Das trifft auch auf die Muckis dieses Herren zu - und außerdem ist das doch ein echter Hingucker, so mit ohne alle beide Hände. 

Long time no see - und im Prinzip auch noch nichts Bahnbrechendes abzuliefern, aber jetzt habe ich doch den Drang verspürt, mal zu berichten, was ich in letzter Zeit so Magisterarbeitsvorantreibendes gemacht habe. Zurzeit arbeite ich an einen sehr empfehlenswerten und dichten Text von Kathryn Olesko und Frederic Holmes über Helmholtz erste physiologische Experimente (1). Der Text setzt bei den Experimenten von 1843 zur Muskelwärme an - darüber hatte ich zum Teil schon im letzten Post berichtet - und endet dann bei den Versuchen zur Nervenleitgeschwindigkeit. Es zeichnet sich schnell ab, dass Helmholtz großen Wert auf Präzision und exakte Experimente legte und das erreichte er, indem er mögliche Fehlerquellen akribisch analysierte. Mitunter stand die Fehleranalyse mehr im Zentrum eines wissenschaftlichen Berichts, als das Ergebnis des Experiments selbst. "Craftsmanlike" also wie ein Handwerker oder Ingenieur schraubt und justiert Helmholtz an seinen Apparaten, um sie für seine Zwecke anzupassen sowie Reibungsverluste und Fehlerquellen zu minimieren. Spannend ist auch, dass so ein Experiment nie im luftleeren Raum entsteht, sondern dem schon vorhandenes Wissen vorangeht und verschiedene Personen beteiligt sind. Zum Beispiel stützt sich Helmholtz auf Eduard Webers (1804-1891) Untersuchungen zur Muskelbewegung. Weber hatte zu diesem Thema einen Eintrag in Rudolph Wagners (1805-1864) "Handwörterbuch der Physiologie" (2) verfasst und dieser Text gelangte über Emil Du-Bois-Reymond schließlich auf Helmholtz' Schreibtisch - und zwar nicht als PDF per Mail sondern wahrscheinlich via Postkutsche. Weber hatte einen Apparat gebaut, um die Muskelaktivität zu untersuchen. 

Eduard Webers Rotationsapparat. Abgebildet in Weber (1846) S. 11.

Mit dem sogenannten Rotationsapparat wollte er eine dauerhafte Kontraktion in Froschmuskeln erzeugen. Dieser Apparat war für Helmholtz' Zwecke auch sehr nützlich, weil er den Strom besser regulieren konnte als bei seinen vorherigen Versuchen mit der Leydener Flasche. Helmholtz entschied sich dann aber doch gegen Webers Rotationsapparat und baute sich auch keinen eigenen, sondern ließ sich von dem Berliner Instrumentenbauer Johann Georg Halske (1814-1890) einen "Neefschen Apparat", eine Induktionsspule, anfertigen. (Halske war später auch am landesweiten Ausbau des Telegraphennetzes beteiligt - das wird dann im Zusammenhang mit den Experimenten zur Nervenleitgeschwindigkeit interessant, weil Helmholtz sich auch dafür seine Geräte von Halske bauen lässt und es dabei auch Parallelen gibt, was den Vergleich von Nervenbahnen mit Telegraphendrähten angeht. Dazu hatte ich auch schon was gepostet. Das aber nur nebenbei.) Nachdem Helmholtz den Apparat anpasste und kalibrierte, erfüllte er den selben Zweck wie der Rotationsapparat, indem er nämlich durch kurz aufeinanderfolgende Reize den Muskel in eine dauerhafte Kontraktion versetzte. Helmholtz fand schon 1845 im Experiment heraus, dass bei der Muskelbewegung Wärme erzeugt wird und konnte dieses Ergebnis zwei Jahr später in einem präziseren Experiment bestätigen. Die Frage war dann noch, was die Wärme erzeugte: Ein Prozess, der in den Muskeln selbst zu verorten war, oder, wie Antoine César Becquerel (1788-1878) und Gilbert Breschet (1784-1845) zuvor annahmen, durch die Bewegung des Blutes in den Gefäßen. Helmholtz konnte zeigen, dass die Wärme in den bewegten Muskeln erzeugt wurde und legte damit den Grundstein für einen einheitlichere Betrachtung der Muskelbewegung, bei der mehrere Prozesse ablaufen: mechanische, chemische, thermische und elektrische. Seinen Erfolg maß Helmholtz aber nicht allein an den Ergebnissen seiner Versuche, sondern in erster Linie am präzisen Design, der feinen Justierung seiner Apparate und dem sorgfältig ausgerichteten Ablauf der Experimente, wobei er auch seinen negativen Ergebnisse ausführlich dokumentierte.

So, und jetzt bin ich noch nicht mal zu den Nervenleit-Versuchen vorgedrungen. Wie gesagt, in dem Text von Olesko und Holmes steckt viel drin und es gibt auch viele Querverweise auf relevante Literatur, in die man auch mal reingeschaut haben sollte. Ich glaube, der Text gibt einen guten Eindruck von dem ganzen Drumherum und zur Vorgeschichte der Versuche, die mich eigentlich interessieren. Darüber werde ich aber später berichten.


(1) Olesko, Kathryn M.; Holmes, Frederic L. (1993): Experiment, Quantification, and Discovery. Helmholtz's Early Physiological Researches, 1843-50. In: Cahan, David (Hg.): Hermann von Helmholtz and the Foundations of Nineteenth-Century Science. Berkeley/Los Angeles/London: University of California Press, S. 50–108.

(2) Weber, Eduard (1846): Muskelbewegung. In: Wagner, Rudolph (Hg.): Handwörterbuch der Physiologie mit Rücksicht auf physiologische Pathologie. Braunschweig: Vieweg, 3, Teil 2, S. 1–122.

Freitag, 8. April 2011

Bei Muskelbewegungen laufen chemische Prozesse ab - das belegen Helmholtz' erste Muskel-Experimente

Im Jahre 1845 berichtet Helmholtz in dem Beitrag "Ueber den Stoffverbrauch bei der Muskelaktion" [Archiv für Anatomie, Physiologie und wissenschaftliche Medicin, Hg. Johannes Müller] über einen seiner ersten Versuche zur Muskelaktivität. Er konnte nachweisen, dass bei der mechanischen Muskelbewegung auch chemische Prozesse ablaufen. Sein Versuch schloss auch an die Frage nach der Lebenskraft an,


"nämlich die, ob das Leben der organischen Körper die Wirkung sei einer eigenen, sich stets aus sich selbst heraus erzeugenden, zweckmäßig wirkenden Kraft, oder das Resultat der auch in der leblosen Natur thätigen Kräfte, nur eigenthümlich modificirt durch die Art ihres Zusammenwirkens [...]" (1)

Helmholtz war kein Verfechter der Lebenskraft, sondern folgte dem Weg Liebigs (1803-1873), der bereits vor ihm physiologische Zusammenhänge aus chemischen und physikalischen Gesetzen herleitete.

Übrigens verwendete Helmholtz auch bei diesem Experiment Froschschenkel, die er unter Strom setzte. In seinem kleinen Bericht findet sich auch das berühmte Zitat von den "Märtyern der Wissenschaft" (sorgte für meinen heutigen heureka-Moment :). Froschschenkel hatten den Vorteil, dass sie nach dem Tod länger reizbar waren -  anders als Muskeln warmblütiger Tiere. Es waren also ganz pragmatische Gründe, weshalb die Frösche für die Versuche herhalten mussten und Helmholtz würdigt ihren unfreiwilligen Einsatz, indem er sie in den Stand der Märtyrer hob.

(1) Helmholtz, Hermann von (1845): Ueber den Stoffverbrauch bei der Muskelaktion. In: Müller, Johannes (Hg.): Archiv für Anatomie, Physiologie und wissenschaftliche Medicin. Berlin: Veit & Comp., S. 72–83, hier S. 72

Mittwoch, 6. April 2011

Berliner Unis und MPIWG planen Zentrum für Wissenschaftsgeschichte

Die Berliner Universitäten und das Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte planen ein Zentrum für Wissensgeschichte. Sie kooperieren schon seit ein paar Jahren und haben jetzt begonnen auf einer Website ihre Aktivitäten zu bündeln. Aktuell kann man zum Beispiel in den gesammelten Veranstaltungen zum Thema Wissenschaftsgeschichte an der HU, FU und TU stöbern. Die Website soll noch ausgebaut werden - ich bin gespannt, was noch draus wird.

Ich habe mir auch schon drei Veranstaltungen herausgesucht, die ich eventuell besuchen werde, interessanterweise alle drei an der TU (die TU wird dieses Jahr in die Kooperation aufgenommen):

  1. Die Vorlesung "Geschichte von Elektrizität und Magnetismus" läuft immer dienstags von 14-16 Uhr, Fakultät I der TU, H 0104
  2. Das Seminar "Ignoramibus! Die Grenzen des Wissens" bezieht sich auf du Bois-Reymonds Ausspruch und dabei geht es um die Grenzen der Erkenntnis, die Naturwissenschaft liefern kann (Ignoramus et ignoramibus - Wir wissen es nicht und wir werden es nie wissen) mittwochs 14-16 Uhr, Fak.I, H 3013
  3. Das Seminar "Die graphische Methode" klingt auch sehr verlockend, bezieht sich, wenn ich mich recht erinnere auf Mareys Versuche Ende des 19. Jh., er hatte ja auch den Myographen nachgebaut und beschrieben. Immer mittwochs 10-12, MA 841
Die drei Veranstaltungen finden alle in der Straße des 17. Juni 135 statt [Campusplan]. Mal schauen, nächste Woche geht das los.