Dienstag, 15. Februar 2011

Helmholtz-Biographien: Fast neues Buch vs. alt und online

Noch zwei Literaturtipps zu Helmholtz-Biographien:

1. Meulders, Michel: Helmholtz. From nlightenment to Neuroscience (2001), Englische Fassung von 2010. Ist eigentlich mehr als eine Biographie, weil Meulders auch einige von Helmholtz Experimenten und Erfindungen unter die Lupe nimmt. Außerdem streut er nette Anekdoten ein, das Lesen macht also auch noch Spaß ;). Erster Leseeindruck: Empfehlenswert! (Danke für den Buchtipp an Antorot)

2. Die gute Helmholtz-Bio von Leo Koenigsberger, einem Freund von Helmholtz. Alle drei Bände aus den Jahre 1902-1903 stehen als PDF zum Download zur Verfügung, großartig!

Myograph in action: Der Ablauf des Versuchs

Bevor der gesamte Versuch starten kann, muss auf dem Zylinder noch deine Markierung, die dem Augenblick der Reizung entspricht, gesetzt werden.

„Zu dem Ende lässt man den Zeichenstift sich an den Cylinder anlegen, und dreht die Schwungscheibe ganz langsam, bis ihr Daumen den Hebel […] berührt. So lange hat der Stift einen horizontale Linie gezeichnet; in dem Augenblicke der Berührung aber löst sich der inducierte Strom aus, der Muskel zuckt und diese Zuckung entspricht auf dem Cylinder eine einfache Verticallinie […]. Es ist klar, dass diese Verticallinie an der Stelle gezeichnet wird, wo der Stift in dem Augenblicke des Zusammenstosses von Hebel und Daumen, d.h. Im Augenblicke der Reizung steht.“1

Sobald der Vorsprung der Schwungscheibe sich also auf Höhe des Hebelarms befindet, zeigt die Zeichenspitze auch immer auf die gesetzte Markierung auf dem Zeichenzylinder. Nachdem die Markierung gesetzt wurde kann der Versuch starten. Dazu wird der Stahlstab herunter gedrückt, was zur Folge hat, dass der Zeichenstift den Zylinder nicht berührt und dass der Hebel nicht vom Vorsprung der Schwungscheibe getroffen werden kann. In dieser Haltung wird das Uhrwerk gestartet. Ob die richtige Geschwindigkeit erreicht ist, kann über die Position der Pendelkugeln festgestellt werden. „Sobald man bemerkt, dass die Schwungkugeln sich zu trennen anfangen, kann die Zeichnung ausgeführt werden.“2 Nun lässt man den Stahlstab los, worauf sich das Brettchen samt Hebel senkt und der Zeichenstift anlegt. „Nun geht der Daumen nicht mehr an dem Hebel vorüber, sondern trifft ihn, wirft ihn um und bewirkt dadurch die Zuckung, deren Verlauf auf dem Cylinder sich aufzeichnet.“3 Der Hebel ist also so montiert, dass er bei Berührung mit dem Vorsprung der Schwungscheibe umkippt, sodass bei einer erneuten Drehung kein weiterer Stromstoß ausgelöst wird. Ein Versuch impliziert also einen Stromstoß und dabei wird auch nur eine einzige Zuckungskurve aufgezeichnet.

Helmholtz wollte in seinen Versuchen nun aber Messungen von verschiedenen Enden des am Muskel befindlichen Nervens anstellen. Dazu führte er jeweils zwei Kurven übereinander aus: die eine von der dem Muskel nähere stehenden Nervenstelle und die andere von der entfernteren Nervenstelle. Um die beiden Kurven später voneinander unterscheiden zu können, zeichnete er in die Rußschicht mit einer Starnadel gekrümmte Häkchen „so an den auf- und absteigenden Theil der ersten Curve, dass sie von der zweiten abgewendet standen.“4

Um die Kurven auf der Rußschicht des Zylinders aufbewahren zu können, wird der Zylinder aus der Appartur entnommen und auf einer „angehauchten Fischleimplatte […] von der Art, wie sie die Kupferstecher zum Copiren der Zeichnungen gebrauchen“5 abgerollt. Beim Abrollen bleibt der Ruß auf der klebrigen Leimplatte haften, wobei die freigekratzen Kurvenspuren ausgespart bleiben. Der Abdruck auf der Leimplatte zeigt die Kurven nun aber gespiegelt. Deshalb wird von der berußten Seite des Leimblatts ein weiterer Abdruck auf einem nassen weißen Blatt Papier angefertigt. „Die Curven erscheinen dann weiss auf schwarzem Grunde, und sind sehr deutlich sichtbar.“6

Mit der graphischen Methode kann Helmholtz also leicht zwei Kurven, mit jeweils unterschiedlich vom Muskeln entfernten, gereizten Nervenstellen, direkt miteinander vergleichen. Das ist ein entscheidender Vorteil gegenüber der Pouilletschen Messmethode, die er bei seinen ersten Versuchen angewendet hatte.

„Der grosse Vortheil der beschrieben Methode besteht darin, dass man in jeder einzelnen Zeichnung zweier zusammengehöriger Curven unmittelbar aus ihrer Gestalt erkennen kann, ob der Muskel in beiden Fällen gleichmäßig gearbeitet habe, während wir dasselbe bei der electromagnetischen Zeitmessungsmethode nur aus einer langen Reihe von Einzelversuchen entnehmen konnten.“7

Die Versuche zur Fortpflanzungsgeschwindigkeit eines Reizes im Nerven mit dem Myographen bestätigte die Ergebnisse aus den ersten elektromagnetischen Versuchen, obwohl sich der horizontale Abstand der beiden Kurven nicht mit sehr großer Genauigkeit messen ließ. Bei einem Kurvenpaar beträgt dieser Abstand zum Beispiel einen Millimeter. Bei einem Zylinderumfang von 85, 7 mm und sechsfacher Drehung desselben pro Sekunde beträgt die Länge der Abszisse für eine Sekunde das Sechsfache des Zylinderumfangs, also 514,2 Millimeter.

„Die Länge von 1mm entspricht also 1/514,2 Sekunde. Die Länge der Nervenleitung war 53mm; daraus folgt die Fortpflanzungsgeschwindigkeit von 27,25 Metern in der Sekunde. Der wahrscheinlichste Werth aus den früheren Versuchen war 26, 4 Meter.“8

Helmholtz' Lehrer, der Physiologe Johannes Müller, glaubte, die Nerven würden Reize mit Lichtgeschwindigkeit transportieren (300 Mio. Meter pro Sekunde). Diese Annahme konnte Helmholtz mit seinen Experimenten eindeutig widerlegen. Im Vergleich zur Lichtgeschwindigkeit schleichen die Reize förmlich im Schneckentempo durch die Nerven. Diese Erkenntnis wirft natürlich weitere Fragen rund um die Wahrnehmung und das Bewusstsein auf, und Helmholtz hatte ja auch noch ähnliche Versuche am Menschen angestellt, wo er die Reaktionszeit testete. Eventuell werde ich noch darauf kurz eingehen könne, aber vielleicht sprengt das auch den Rahmen meiner Arbeit. Wir werden sehen...

1) Helmholtz 1852 – Messungen über Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Reizung, S. 209f.
2) Ebd.: S. 210
3) Ebd.: S. 210
4) Ebd.: S. 210f.
5) Ebd.: S. 211
6) Ebd.: S. 211
7) Ebd.: S. 215
8) Ebd.: S. 216

Wie bau ich mir einen Myographen, Teil 4: Rechtzeitiger Stromschlag


Genau wie bei seinen ersten Messversuchen mit Pouillets Methode steht Helmholtz auch beim Myographen vor der Schwierigkeit, die Aufzeichnung synchron mit dem elektrischen Reiz starten zu lassen. Dazu hat er wieder eine kleiner Apparatur gebaut, die diese Anforderungen erfüllen soll. Die Vorrichtung besteht aus einem beweglichen Brettchen, an dem ein Stahlstab befestigt ist, der per Hand die Position des Brettchens wie beim Kippen einer Wippe ändern kann. Der Grad der Änderung wird durch zwei verschieden hohe Stahlschrauben unter dem Brettchen beschränkt. Auf der oberen Seite des Brettchens ist eine drehbare Achse eingesetzt, die durch zwei Metallplatten gehalten wird. An dem der Schwungscheibe zugewandten Ende der Achse ist ein senkrechter Hebelarm befestigt. Sein oberes Ende ist in Richtung des Scheibenrands gebogen und kann von einem Vorsprung dieses Randes getroffen werden, sofern das entsprechende Ende des beweglichen Brettchens auf der höher eingestellten vorderen Stahlschraube ruht. Eine Feder unterhalb des Brettchens bewirkt, dass das Brettchen der Stellung zugeneigt ist, bei der der Vorsprung der Drehscheibe den Hebelarm trifft. Wird durch Herunterdrücken des Stahlstabes dagegen des hintere Ende des Brettchens auf die niedrigere hintere Schraube gedrückt, geht der Vorsprung der Schwungscheibe ohne Berührung an dem gebogenen Hebelarm vorbei. In der Achse, die mit diesem Hebelarm verbunden ist, befinden sich zwei Drahtklemmen mit Kupferdrähten. Die amalgamierte Spitze des einen ist in ein Quecksilbernäpfchen eingetaucht und die Platinspitze des anderen ruht auf einem Platinblättchen. Durch ein leichtes Übergewicht der Achse steht die Platinspitze mit dem Platinblättchen stets im Kontakt. Das Platinblättchen steht über einen Draht und eine Klemme außerdem mit einem weiteren Quecksilbernäpfchen unterhalb des Brettchens in leitender Verbindung. Diese leitende Verbindung wird jedoch in dem Augenblick unterbrochen, wenn der Vorsprung der Schwungscheibe gegen den Hebelarm stößt. Durch die Quecksilbernäpfe

„wird der Strom eines Daniell'schen Elements geleitet, in dessen Kreis gleichzeitig eine Drahtspirale No. 1 eingeschaltet ist. Diese liegt in einer zweiten solchen Spirale No. 2, deren Enden mit dem Nerven in Verbindung gesetzt sind. In dem Moment also, wo der Daumen [i.e. der Vorsprung der Schwungscheibe, Anm. F.R.] […] gegen den Hebel […] stößt, wird der Strom in No. 1 unterbrochen, und dadurch in No. 2 ein inducierter Strom erregt, welcher den Nerven durchfährt. […] Der Moment des Stoßes fällt also genau mit dem Moment der Nervenreizung zusammen.“1

Der Stahlstab, der die Achse und den Hebelarm trägt, ist über eine Schnur außerdem mit der zeichnenenden Spitze verbunden: er „dient dazu den Zeichenstift so lange von dem Zylinder entfernt zu halten, bis die Zeichnung ausgeführt werden soll.“2 Durch Drehung des Stahlstabes wickelt sich die Schnur auf denselben und so kann der entsprechende Abstand der Spitze vom Zeichenzylinder eingestellt werden. Die Apparatur ist so eingestellt, dass der Stift bei jeder Aufzeichnung an derselben Stelle des Zylinders startet, sodass mehrere sich überlagernde Kurvenzeichnungen mögliche sind.

1) Helmholtz 1852 – Messungen über Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Reizung, S. 208
2) Ebd.: S. 209

Wie bau ich mir einen Myographen, Teil 3: Uhrwerk, Pendel und Schwungscheibe


Das Uhrwerk sollte den Zeichenzylinder eigentlich in eine gleichförmige Drehgeschwindigkeit versetzen. Die Schwierigkeit lag nun gerade darin zu gewährleisten, das Uhrwerk und letztendlich den Zylinder permanent gleichförmig drehen zu lassen – eine Aufgabe, die

„streng zu lösen, […] der praktischen Mechanik bisher noch nicht gelungen ist. So vollkommen man die Uhrwerke mit springendem Gange herzustellen weiss, so wenig ist das bei denen der Fall, welche sich ununterbrochen gleichförmig drehen sollen.“1

Gewöhnlich wird ein Kegelpendel mit entsprechendem Gewicht an den Enden als Regulator des Ganges eingesetzt. Angeregt durch das Uhrwerk vollführt das Kegelpendel eine Kreisbewegung um die vertikale Achse. Je nach Größe und Richtung des ersten Anstoßes jedoch kann das Pendel

„bald Kreise, bald Ellipsen um die Verticale beschreiben, und wenn dies letztere der Fall ist, so dreht es sich, und mit ihm das ganze Uhrwerk, schneller in den Punkten der Bahn, wo es der Verticalen näher, als in denen, wo es ihr ferner ist.“2

Das bedeutet, die Drehungsgeschwindigkeit ist Schwankungen ausgesetzt, die sich direkt auf die Messkurve auswirken. Beim Kymographen spielten diese Schwankungen kaum eine Rolle, da eine Umdrehung des Zylinders vielen Umdrehungen des Kegelpendels entsprach.3 Bei Helmholtz Myographen ist das anders: hier dreht sich der zu beschreibende Zylinder sechs Mal pro Sekunde und das Kegelpendel, wie ich noch genauer ausführen werde, ungefähr ein Mal pro Sekunde.

„Bei einem elliptisch schwingenden Kegelpendel von einer Sekunde Umlauf würden also die ganzen Umlaufszeiten des Cylinders abwechselnd größer und kleiner werden. Unsere Versuche bedingen aber, dass die Drehungsgeschwindigkeit des Cylinders nicht um 1/100 ihres ganzen Werthes variiere.“4

Für die Zwecke im Myographen, wo kleinste Zeiteinheiten gemessen werden sollen, was eine extreme Genauigkeit erfordert, werden diese Schwankungen also zum Problem. Außerdem ist es nicht möglich bei so kleinen Abweichungen, den Übergang des Kegelpendels von der Kreisbewegung zur elliptischen Bewegung – und umgekehrt – zu erkennen und zu verhindern. Aber gerade weil die zu messenden Zeiträume sehr klein sind, sieht Helmholtz eine Chance die Messungen immer zwischen den Schwankungen durchzuführen, wenn die Drehung gerade eine stabile Phase durchläuft. Bedingung wäre, dass die Schwankungen nur langsam vor sich gehen würden.

„Wenn also die Drehungsgeschwindigkeit des Uhrwerks langsame Schwankungen ihrer Größe zeigt, so brauchen wir das nicht zu fürchten, falls wir nur die Zeitpunkte erkennen können, wo sie den genau geforderten Werth hat.“5

Um die Veränderungen der Geschwindigkeit zu verlangsamen, integriert Helmholtz in seine Apparatur

„eine schwere, mit Blei ausgegossene Schwungscheibe […] von einem Pfunde Gewicht. Bei dem großen Beharrungsvermögen dieser Scheibe ändert sich die Geschwindigkeit ihrer Drehung nur sehr langsam, wenn die treibenden Kräfte des Uhrwerks etwas grösser oder kleiner werden.“6

Die Schwungscheibe ist mittig an der Achse befestigt, die an ihrem unteren Ende durch das Uhrwerk angetrieben wird und am oberen Ende den Zeichenzylinder trägt. Am unteren Ende der Schwungscheibe laufen zwei drehbare Flügel in einer kreisförmigen und mit Öl gefüllten Rinne. Die in der Höhe verstellbare Rinne und die beweglichen Flügel dienen der Regulierung der Uhrwerksgeschwindigkeit.

„Durch die verschiedene Stellung der Flügel […] und der Rinne kann der Widerstand, welchen das Oel der Bewegung der Flügel entgegensetzt, und dadurch auch die Geschwindigkeit des Uhrwerks innerhalb ziemlich weiter Grenzen beliebig geändert und regulirt werden.“7

Das Kegelpendel kann zwar nicht mehr als Gangregulator eingesetzt werden, jedoch kann es durchaus als Mittel dienen, nun die Größe der Umdrehungsgeschwindigkeit zu erkennen. Die beiden Schwungkugeln des Pendels hängen an einer Achse, die durch ein 48 Zähne zählendes Zahnrad gedreht wird. Dieses Zahnrad steht mit dem restlichen Uhrwerk samt treibenden Gewichts in Verbindung und greift gleichsam in das 12-zahnige Rad der Achse ein, welche die Schwungscheibe und den Zylinder antreibt. Wir wissen bereits, dass diese Achse, die den Zeichenzylinder trägt, sich sechs Mal pro Sekunde drehen soll. Das bedeutet, dass das Zahnrad mit den 48 Zähnen, an dem das Pendel hängt, sich vier Mal so langsam bewegt, also 1,5 Mal pro Sekunde. Anhand der Umdrehungszeit, der Schwerkraft und des Winkels, in dem die ruhenden Kugeln stehen, kann Helmholtz die nötige Länge der Pendel errechnen und entsprechend einstellen. Aus der Berechnung geht auch die optimale Position der Kugeln für die Messphasen hervor.

„Wählt man […] zur Anstellung der Versuche solche Zeiträume, wo die Kugeln weniger als ihren Halbmesser Distanz zwischen sich lassen, so ist man sicher, dass die Drehungsgeschwindigkeit bei den verschiedenen Versuchen nicht um 1/400 ihres Werthes variirt hat.“8

Das heißt also, das Helmholtz, nachdem er das Uhrwerk in Gang gesetzt hat, über die Position der sich drehenden Pendelkugeln den günstigen Moment für eine stabile Messung erkennen kann, nämlich genau dann, wenn der Abstand zwischen beiden Kugeln weniger als die Hälfte ihres Radius beträgt. Die Schwungscheibe mit ihrem Gewicht dient dabei zur Verlangsamung der Änderung der Geschwindigkeitsschwankungen, sodass jede Änderung der Geschwindigkeit mit Verzögerung eintritt und Helmholtz genügend Zeit hat, seine Aufzeichnung durchzuführen.

Helmholtz baute im Übrigen die Apparatsteile nicht ohne fremde Hilfe, im Gegenteil: er beauftragte für die genaue Ausarbeitung aller Teile einen ortsansässigen Mechaniker. Der für die Aufzeichnung verwendete Zylinder ist „von dem hiesigen Mechanikus Herrn Rekoss, der auch die übrigen Theile des Apparats gebaut hat, äusserst genau cylindrisch aus Glas geschliffen worden.“9 Vor seiner Benutzung wird der Zylinder mittels einer Lichtflamme mit einer leichten Rußschicht versehen, in die später die zeichnende Spitze die Zuckungskurve kratzt.

Dieser Part war eigentlich der komplizierteste, ich hoffe, alles richtig verstanden zu haben. Als Kulturwissenschaftlerin ist es in diesem Fall von Vorteil, einen Elektroingenieur in der Familie zu haben, der sich gerne stundenlang über die Funktion  elektromechanischer Bauwerke unterhält, und das beim Frühstück! Danke Papa :)

Ach ja, Kommentare sind erwünscht! Ich freue mich, wenn jemand etwas zu bemerken hat.  :)

1) Helmholtz 1852 – Messungen über Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Reizung, S. 202
2) Ebd.: S. 203
3) Vgl. Ebd.: S. 203
4) Ebd.: S. 203
5) Ebd.: S. 204
6) Ebd.: S. 204
7) Ebd.: S. 205
8) Ebd.: S. 206
9) Ebd.: S. 206

Wie bau ich mir einen Myographen, Teil 2: Die zeichnende Spitze


Die erste Herausforderung bei der Konstruktion der zeichnenden Spitze war, sie nur vertikale und keine horizontalen Bewegungen ausführen zu lassen. Helmholtz entschied sich dafür die Spitze über einen zusammengesetzten Hebel zu steuern. Die Spitze ist dabei direkt an einem senkrechten Hebel befestigt, der an der Oberseite über eine horizontal beweglichen Achse mit einem waagerechten Hebel verbunden ist. Der waagerechte Hebel ist am anderen Ende ebenfalls über eine horizontale Achse beweglich – dies gewährleistet, dass die Spitze ausschließlich vertikale Bewegungen ausführt. Die Mitte des waagerechten Hebels ist über eine Stellschraube mit einem Rahmen verbunden, der wiederum über einen Haken von dem Muskel getragen wird. „Wenn sich dieser zusammenzieht, hebt er also den [waagerechten] Hebel [...], und mit ihm die zeichnende Spitze.“1 Der Druck, den die Spitze auf den rotierenden Zylinder ausübt, kann über Gewichte, die an einem befestigten Querarm verschiebbar sind, reguliert werden. Mit dieser Befestigungsweise vermied Helmholtz größere Reibungsverluste: „Da die Berührungsflächen der reibenden Theile sehr klein ist, und sie sich nur wenig gegen einander verschieben, so ist die Reibung an den Befestigungsstellen sehr gering, und kann selbst kleiner, als die der zeichnenden Spitze werden.“2

1) Helmholtz 1852 – Messungen über Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Reizung, S. 202
2) Helmholtz 1852 – Messungen über Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Reizung, S. 202

Wie bau ich mir einen Myographen? - So: (Teil 1)

Zeichnung des Myographen von Hermann von Helmholtz, Kupferstich, 1852


Zwei Jahre nach der Publikation seiner Messungen mit der elektromagnetischen Methode, veröffentlichte Helmholtz seine „Messungen über Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Reizung in den Nerven“1. Darin berichtet er über die weiterentwickelte grafische Messmethode zur Aufzeichnung der Zuckungskurven der elektrisch gereizten Muskel. Ein Grund, die bereits erfolgreichen Versuche mit der komplizierten elektromagnetischen Messmethode erneut durchzuführen, lag für Helmholtz in der einfacheren Ausführbarkeit und vor allem größeren Anschaulichkeit der grafischen Methode.

„Außerdem lasse ich mir jetzt einen Apparat mit rotierendem Zylinder zur Kurvenzeichnung bauen, mit dem ich neben manchem anderen auch hoffe, jedermann durch einen Versuch in 5 Minuten die Tatsache der Fortpflanzungsdauer in den Nerven vor Augen legen zu können. Damit beabsichtige [ich], im nächsten Sommer an den deutschen Universitäten herumzureisen und Vorstellungen zu geben.“2

Bei dieser Aufzeichnungsmethode ist der Muskel mit einem Stift verbunden, der bei jeder Zuckung des Muskels die vertikale Erhebung auf einen rotierenden Zylinder überträgt. Er zerlegt sich in drei grundlegende Bestandteile:

„ 1. Die Verbindungsstücke des zeichnenden Stiftes mit dem Muskel.
2. Das Uhrwerk, welches den Zeichenzylinder in gleichmäßige Umdrehung versetzt.
3. Die Vorrichtung zur rechtzeitigen Auslösung des electrischen Schlages, welcher den Nerven durchfährt.“3

Der Aufzeichnungsapparat ist mit der bereits für die elektromagnetischen Messversuche verwendeten Apparatur, die den Muskel und das stromleitende Zwischenstück enthält, verbunden.

„Der Muskel wurde in demselben von Glaswänden eingeschlossenen und mit Feuchtigkeit gesättigten Raume aufgehängt, wie bei den früheren Versuchen. Sein Nerv wurde ebenfalls wieder über die vier dort befindlichen Drähte gelegt, durch welche es möglich war, bald der einen, bald der andern Nervenstelle von aussen her einen electrischen Schlag zuzusenden“4

Erst in dieser Kombination beider Apparatsteile – der Halterung für den Muskel mit der Glaskuppe und dem stromleitenden Zwischenstück zum einen und dem drehbaren Zylinder samt Zeichenstift – kann vom Myographen gesprochen werden, oder wie Helmholtz ihn zunächst auch nannte: Froschzeichenapparat. Der Begriff des Myographen oder Myographions leitet sich ab von Myo-, griechisch für Muskel, und -graph, von griechisch graphein für zeichnen, also „Muskelschreiber“. Es wird also eindeutig die aufschreibende Tätigkeit bezeichnet. Helmholtz hatte die grafische Einheit aber schon von Anfang an mitgedacht, sein Prototyp aus den ersten Versuchen besaß bereits ein Aufschreibesystem auf das er nun zurückkommt, um es für anschauliche und überzeugende Präsentationen einzusetzen.

1) Helmholtz, Hermann von (1852): Messungen über Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Reizung in den Nerven. In: Archiv für Anatomie, Physiologie und wissenschaftliche Medicin, S. 199–216.
2) Helmholtz in einem Brief vom 17. September 1850 an Emil du Bois-Reymond, in: Kirsten, Christa (u a. Hg ). (1986): Dokumente einer Freundschaft. Briefwechsel zwischen Hermann von Helmholtz und Emil du Bois-Reymond 1846-1894. Kirsten, Christa (Hg.). Berlin. S. 106.
3) Helmholtz 1852 – Messungen über Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Reizung, S. 200
4) Helmholtz 1852 – Messungen über Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Reizung, S. 200f.

Mittwoch, 9. Februar 2011

Verständliche Wissenschaft sorgte im 19. Jh. für Empörung bei den Damen

Wer hätte das gedacht: du Bois-Reymonds Versuch, eine wissenschaftlichen Rede in verständlicher Form zu verfassen, stieß bei der weiblichen Hörerschaft auf Empörung. In einem Brief an Helmholtz vom 18. März 1851 schreibt er: "Gib meine Rede Deiner angenehmen Hausfrau zu lesen. Die Damen sind empört darüber gewesen, dass ich ihnen verständlich gewesen sei, was ich von ihnen dächte? Und von mir hatte man etwas Wissenschaftlicheres erwartet. [...] [Ich] werde große Mühe haben, meinen Ruf als exakter Forscher wieder zu erobern." Das gemeine Publikum ließ sich lieber in Verwunderung versetzen und wollte gar nicht verstehen. War das wirklich so? Helmholtz beobachtet diesen Trend ebenfalls und schlägt vor, dem Plebs zu geben, wonach er begehrt. "Meine Frau lässt Dich freundlich grüßen; ich habe ihr Deine Vorlesung vorgetragen, da sie aber soweit in die Physiologie eingeweiht ist, dass sie Versuchsreihen über Geschwindigkeit der Reizung in den Nerven an sich anstellen konnte, bei anderen selbst Magnetometer-Ablesungen machte etc., so hat sie sich zur Partei derjenigen geschlagen, welche behaupten, Du hättest dich zu verständlich gemacht. Dagegen höre ich, hast Du in Berlin auch viele unbedingte Bewunderinnen. Es ist unmöglich bei solchen Gelegenheiten, es allen recht zu machen, jedenfalls aber wohl dankbarer, es den Zuhörern nicht zu leicht zu machen und für den großen Haufen einige Rätsel stehen zu lassen, deren Verständnis vielleicht nur einer kleinen Zahl der Zuhörerschaft aufgeht. Für jene anderen ist es im Grunde immer besser, ihre Verwunderung als ihr Verständnis anzuregen." (Helmholtz an du Bois-Reymond in einem Brief vom 11. April 1851) Im Prinzip ist es schön, beim Publikum Verwunderung auszulösen, aber nur, um ein Interesse zu wecken. Das Interesse sollte dann aber auch befriedigt werden, und dafür ist es sinnvoll, dem Laien die Wissenschaft auf verständliche Art und Weise näher zu bringen, als ihn in seiner Verwunderung verweilen zu lassen. Bereits Aristoteles sah im Staunen den Beginn des Philosophierens [Vgl. Metaphysik, S. 22] - dieser Zustand kann also als Antrieb wirken, sich mit einem Thema intensiver zu beschäftigen.

"Pompöser" Begriff des Myographion von Helmholtz 1854 geprägt

Ich hatte in einem früheren Post die Frage gestellt, ab wann der Begriff "Myograph(ion)" verwendet wurde und wer ihn geprägt hat, zumal Helmholtz diesen Begriff in seinen Veröffentlichungen von 1850 und 1852 nicht benutzt. Nun bin ich fündig geworden (*Trommelwirbel*): In einem Brief vom 13. Juni 1854 an du Bois-Reymond setzt Helmholtz diesen darüber in Kenntnis, den sogenannten "Froschzeichenapparat" zukünftig "Myographion" zu nennen: "Für das physiologische Institut in Gießen wird jetzt hier ein Froschzeichenapparat oder, wie ich ihn künftig pompös benennen werde, ein Myographion gebaut [...]." Dann wäre das also geklärt.  

Mittwoch, 2. Februar 2011

Komplizierte Messmethode lässt meinen Kopf rauchen

Helmholtz verwendet für seine ersten Versuche (Helmholtz 1850) ein extrem kompliziertes Messverfahren (hatte ich das schon erwähnt?). Er misst dazu die Veränderung der Schwingungen des Magneten, der in einem Galvanometer hängt. Wenn nun ein Strom in den Muskel oder den Nerven induziert wird, verändert sich der Ausschlag des schwingenden Magneten. Über ein Spiegelchen und mittels Fernrohr kann Helmholtz bzw. seine Frau Olga (siehe früherer Blogeintrag) - vereinfacht ausgedrückt -  die Werte ablesen und mittels einer Formel die Zeit berechnen, die der Reiz brauchte, um eine Zuckung auszulösen. Die Messwerte mittels Spiegel und Fernrohr abzulesen stammt von Carl Friedrich Gauß (1777) und Wilhelm Eduard Weber (1804-1891), die das erste Galvanometer gebaut haben. Kleine Anekdote: Während ihrer ersten Versuche mit dem Galvanometer kamen die beiden auf die Idee zu testen, wie weit die elektrischen Leitfähigkeit in einem Draht reichen würden. "Sie spannten einen Draht quer durch ihre ganze Stadt, Herr Gauß befand sich an einem Ende und verband die Drähte mit einer Batterie [...] und Herr Weber beobachtete, wie sich die Nadel des Galvanometers bewegte. Sie verfügten über ein Mittel, Signale über große Entfernungen zu übertragen - es war der Anfang der Telegraphie!" [http://bit.ly/dW4ngu] Halleluja! Ähnlich wie bei Gauß' und Webers Versuch mit Telegraphendrähten stellte Helmholtz sich die Nervenleitung vor [http://bit.ly/gmyrgR]. Als nächstes werde ich mir die anschaulichere grafische Methode genauer ansehen, die Helmholtz 1852 ausführlich beschreibt.