Dienstag, 15. Februar 2011

Myograph in action: Der Ablauf des Versuchs

Bevor der gesamte Versuch starten kann, muss auf dem Zylinder noch deine Markierung, die dem Augenblick der Reizung entspricht, gesetzt werden.

„Zu dem Ende lässt man den Zeichenstift sich an den Cylinder anlegen, und dreht die Schwungscheibe ganz langsam, bis ihr Daumen den Hebel […] berührt. So lange hat der Stift einen horizontale Linie gezeichnet; in dem Augenblicke der Berührung aber löst sich der inducierte Strom aus, der Muskel zuckt und diese Zuckung entspricht auf dem Cylinder eine einfache Verticallinie […]. Es ist klar, dass diese Verticallinie an der Stelle gezeichnet wird, wo der Stift in dem Augenblicke des Zusammenstosses von Hebel und Daumen, d.h. Im Augenblicke der Reizung steht.“1

Sobald der Vorsprung der Schwungscheibe sich also auf Höhe des Hebelarms befindet, zeigt die Zeichenspitze auch immer auf die gesetzte Markierung auf dem Zeichenzylinder. Nachdem die Markierung gesetzt wurde kann der Versuch starten. Dazu wird der Stahlstab herunter gedrückt, was zur Folge hat, dass der Zeichenstift den Zylinder nicht berührt und dass der Hebel nicht vom Vorsprung der Schwungscheibe getroffen werden kann. In dieser Haltung wird das Uhrwerk gestartet. Ob die richtige Geschwindigkeit erreicht ist, kann über die Position der Pendelkugeln festgestellt werden. „Sobald man bemerkt, dass die Schwungkugeln sich zu trennen anfangen, kann die Zeichnung ausgeführt werden.“2 Nun lässt man den Stahlstab los, worauf sich das Brettchen samt Hebel senkt und der Zeichenstift anlegt. „Nun geht der Daumen nicht mehr an dem Hebel vorüber, sondern trifft ihn, wirft ihn um und bewirkt dadurch die Zuckung, deren Verlauf auf dem Cylinder sich aufzeichnet.“3 Der Hebel ist also so montiert, dass er bei Berührung mit dem Vorsprung der Schwungscheibe umkippt, sodass bei einer erneuten Drehung kein weiterer Stromstoß ausgelöst wird. Ein Versuch impliziert also einen Stromstoß und dabei wird auch nur eine einzige Zuckungskurve aufgezeichnet.

Helmholtz wollte in seinen Versuchen nun aber Messungen von verschiedenen Enden des am Muskel befindlichen Nervens anstellen. Dazu führte er jeweils zwei Kurven übereinander aus: die eine von der dem Muskel nähere stehenden Nervenstelle und die andere von der entfernteren Nervenstelle. Um die beiden Kurven später voneinander unterscheiden zu können, zeichnete er in die Rußschicht mit einer Starnadel gekrümmte Häkchen „so an den auf- und absteigenden Theil der ersten Curve, dass sie von der zweiten abgewendet standen.“4

Um die Kurven auf der Rußschicht des Zylinders aufbewahren zu können, wird der Zylinder aus der Appartur entnommen und auf einer „angehauchten Fischleimplatte […] von der Art, wie sie die Kupferstecher zum Copiren der Zeichnungen gebrauchen“5 abgerollt. Beim Abrollen bleibt der Ruß auf der klebrigen Leimplatte haften, wobei die freigekratzen Kurvenspuren ausgespart bleiben. Der Abdruck auf der Leimplatte zeigt die Kurven nun aber gespiegelt. Deshalb wird von der berußten Seite des Leimblatts ein weiterer Abdruck auf einem nassen weißen Blatt Papier angefertigt. „Die Curven erscheinen dann weiss auf schwarzem Grunde, und sind sehr deutlich sichtbar.“6

Mit der graphischen Methode kann Helmholtz also leicht zwei Kurven, mit jeweils unterschiedlich vom Muskeln entfernten, gereizten Nervenstellen, direkt miteinander vergleichen. Das ist ein entscheidender Vorteil gegenüber der Pouilletschen Messmethode, die er bei seinen ersten Versuchen angewendet hatte.

„Der grosse Vortheil der beschrieben Methode besteht darin, dass man in jeder einzelnen Zeichnung zweier zusammengehöriger Curven unmittelbar aus ihrer Gestalt erkennen kann, ob der Muskel in beiden Fällen gleichmäßig gearbeitet habe, während wir dasselbe bei der electromagnetischen Zeitmessungsmethode nur aus einer langen Reihe von Einzelversuchen entnehmen konnten.“7

Die Versuche zur Fortpflanzungsgeschwindigkeit eines Reizes im Nerven mit dem Myographen bestätigte die Ergebnisse aus den ersten elektromagnetischen Versuchen, obwohl sich der horizontale Abstand der beiden Kurven nicht mit sehr großer Genauigkeit messen ließ. Bei einem Kurvenpaar beträgt dieser Abstand zum Beispiel einen Millimeter. Bei einem Zylinderumfang von 85, 7 mm und sechsfacher Drehung desselben pro Sekunde beträgt die Länge der Abszisse für eine Sekunde das Sechsfache des Zylinderumfangs, also 514,2 Millimeter.

„Die Länge von 1mm entspricht also 1/514,2 Sekunde. Die Länge der Nervenleitung war 53mm; daraus folgt die Fortpflanzungsgeschwindigkeit von 27,25 Metern in der Sekunde. Der wahrscheinlichste Werth aus den früheren Versuchen war 26, 4 Meter.“8

Helmholtz' Lehrer, der Physiologe Johannes Müller, glaubte, die Nerven würden Reize mit Lichtgeschwindigkeit transportieren (300 Mio. Meter pro Sekunde). Diese Annahme konnte Helmholtz mit seinen Experimenten eindeutig widerlegen. Im Vergleich zur Lichtgeschwindigkeit schleichen die Reize förmlich im Schneckentempo durch die Nerven. Diese Erkenntnis wirft natürlich weitere Fragen rund um die Wahrnehmung und das Bewusstsein auf, und Helmholtz hatte ja auch noch ähnliche Versuche am Menschen angestellt, wo er die Reaktionszeit testete. Eventuell werde ich noch darauf kurz eingehen könne, aber vielleicht sprengt das auch den Rahmen meiner Arbeit. Wir werden sehen...

1) Helmholtz 1852 – Messungen über Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Reizung, S. 209f.
2) Ebd.: S. 210
3) Ebd.: S. 210
4) Ebd.: S. 210f.
5) Ebd.: S. 211
6) Ebd.: S. 211
7) Ebd.: S. 215
8) Ebd.: S. 216

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