Mittwoch, 9. Februar 2011

Verständliche Wissenschaft sorgte im 19. Jh. für Empörung bei den Damen

Wer hätte das gedacht: du Bois-Reymonds Versuch, eine wissenschaftlichen Rede in verständlicher Form zu verfassen, stieß bei der weiblichen Hörerschaft auf Empörung. In einem Brief an Helmholtz vom 18. März 1851 schreibt er: "Gib meine Rede Deiner angenehmen Hausfrau zu lesen. Die Damen sind empört darüber gewesen, dass ich ihnen verständlich gewesen sei, was ich von ihnen dächte? Und von mir hatte man etwas Wissenschaftlicheres erwartet. [...] [Ich] werde große Mühe haben, meinen Ruf als exakter Forscher wieder zu erobern." Das gemeine Publikum ließ sich lieber in Verwunderung versetzen und wollte gar nicht verstehen. War das wirklich so? Helmholtz beobachtet diesen Trend ebenfalls und schlägt vor, dem Plebs zu geben, wonach er begehrt. "Meine Frau lässt Dich freundlich grüßen; ich habe ihr Deine Vorlesung vorgetragen, da sie aber soweit in die Physiologie eingeweiht ist, dass sie Versuchsreihen über Geschwindigkeit der Reizung in den Nerven an sich anstellen konnte, bei anderen selbst Magnetometer-Ablesungen machte etc., so hat sie sich zur Partei derjenigen geschlagen, welche behaupten, Du hättest dich zu verständlich gemacht. Dagegen höre ich, hast Du in Berlin auch viele unbedingte Bewunderinnen. Es ist unmöglich bei solchen Gelegenheiten, es allen recht zu machen, jedenfalls aber wohl dankbarer, es den Zuhörern nicht zu leicht zu machen und für den großen Haufen einige Rätsel stehen zu lassen, deren Verständnis vielleicht nur einer kleinen Zahl der Zuhörerschaft aufgeht. Für jene anderen ist es im Grunde immer besser, ihre Verwunderung als ihr Verständnis anzuregen." (Helmholtz an du Bois-Reymond in einem Brief vom 11. April 1851) Im Prinzip ist es schön, beim Publikum Verwunderung auszulösen, aber nur, um ein Interesse zu wecken. Das Interesse sollte dann aber auch befriedigt werden, und dafür ist es sinnvoll, dem Laien die Wissenschaft auf verständliche Art und Weise näher zu bringen, als ihn in seiner Verwunderung verweilen zu lassen. Bereits Aristoteles sah im Staunen den Beginn des Philosophierens [Vgl. Metaphysik, S. 22] - dieser Zustand kann also als Antrieb wirken, sich mit einem Thema intensiver zu beschäftigen.

1 Kommentar:

  1. Berühmte Stelle, und eine interessante Anmerkung auch für die Wissenschaftskommunikation von heute. Denn natürlich schaffen wir nicht das, was wir vorgaukeln: bei Laien ein echtes Verständnis zu erzeugen, durch kurze und nette Infohäppchen. Das geht nicht, es ist allenfalls das was, Helmholtz als Staunen über die Rätsel bezeichnet und was Interesse, Respekt und Bewunderung erwecken soll. Was aber gute Wissenschaftskommunikation heute durchaus erreicht, ist, dass wir die gesellschaftlichen Auswirkungen wissenschaftlicher Erkenntnisse diskutieren. Auf diesem Feld müssen Bürger mitreden können. Zu Helmholtz' Zeiten unvorstellbar.

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